Thomas Mann an Jonas Lesser

Zeitraum
Donnerstag, 29. Januar 1948
Datierung
29.1.1948
Empfänger:in
Ort

Zusammenfassung

Dankt für L.s [61 Seiten] langen Brief vom 2. Januar. L., der sich Punkt für Punkt mit dem Roman auseinandergesetzt habe, sei wirklich ergriffen und habe den ›Doktor Faustus‹ als »Lebensbuch von fast wilder Direktheit« erkannt. Richtig sei L.s Gefühl »für die blutige Realität, das Geständnishafte und Opfergleiche dieses tief erregten Buches«, dessen Wirkung auf die deutsch lesende Welt in Europa unvergleichlich anders sei als die alles Früheren. »Zum ersten Mal ist es, daß ich Tränen sehe in den Augen meiner Leser.« L. sei zum Kritiker und Exegeten eines Werkes bestellt, »das ich selbst unmöglich umhin kann als exzeptionell zu empfinden«. – Erklärt die Herkunft des Namens »Hyphialta« aus der dämonologischen Literatur. Es seien weibliche und männliche Teufel, wobei die alten Kirchenväter darüber stritten, ob aus Verbindungen mit Männern und Frauen Kinder hervorgehen konnten. »Faust hat jedoch von Helena einen Sohn, ›Justus‹.« In seinem Wahnsinnsausbruch verwechsle Adrian den kleinen Nepomuk mit jenem. – Zur Musik: Obwohl es genau mit ihr genommen werde, so sei sie doch nur Vordergrund und Paradigma für die Krise der Kunst, der Kultur überhaupt; man müsse sie von Wagner nicht ferne genug halten, sie sei unromantisch und nicht leitmotivisch. Sie sei der Ausdruck einer verzweifelten Kunst. Der ›Doktor Faustus‹ hat viel »von dem Abwerfen des Scheins der Kunst« zu tun, er sei kein Roman mehr, »er ist Wirklichkeit, rücksichtslose Biographie«.

Erwähnungen

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