Thomas Mann an Hermann Buchterkirchen, Oberbürgermeister von Weimar
- Zeitraum
- Dienstag, 1. August 1950
- Datierung
- 1.8.1950
- Empfänger:in
- Ort
Zusammenfassung
Bedauert, die Einladung zu den Weimarer Jubiläumsfeierlichkeiten nicht annehmen zu können, da sein Europa-Aufenthalt sich wegen einer Operation seiner Frau über Gebühr verlängert habe. – Schreibt ein Grußwort zum 700jährigen Bestehen der Stadt. Sein Besuch im vorigen Jahr habe ihm viel Schmähung und Tadel eingetragen, aber er habe nicht umhin gekonnt, nach Frankfurt auch in Weimar dem Genius Goethe seine Ehrerbietung zu erweisen. Von dem Weltkonflikt, der auch diese beiden Städte trenne, habe er in einem Vortrag gesprochen, der jetzt unter dem Titel ›Meine Zeit‹ erschienen sei. Es sei seine Meinung, dass dieser Weltzwiespalt von beiden Seiten aus gemildert und entgiftet werden müsse. Das westliche Bürgertum, dem er angehöre, dürfe sich nicht gegen unaufhaltsame Wandlungen des Lebens verstocken, es müsse das Problem der Freiheit neu durchdenken und auf keinen Fall Schutz suchen beim Faschismus. Der Kommunismus müsse »viel Böses, das ebenfalls krampfhafter Art ist, viel dem Rechtsinn Unerträgliches abstoßen und dem jesuitischen Glauben entsagen, an die Rechtfertigung jedes Mittels durch den Zweck, um weltmöglich zu werden«. Nur so sei der Friede zu retten »und nur so die Menschheit vor tiefster Erniedrigung zu bewahren«.
