Thomas Mann an Walter Ulbricht, Stellvertretender Ministerpräsident der DDR
- Zeitraum
- Sonntag, 10. Juni 1951
- Datierung
- o.D. [lt. TGB 10-15.6.1951]
- Empfänger:in
- Ort
Zusammenfassung
Wendet sich als Schriftsteller an den stellvertretenden Ministerpräsidenten der Deutschen Demokratischen Republik mit einer Bitte, die sogar den Charakter eines Rates haben könnte. Aus seinen Schriften geht hervor, dass er stets ein Anhänger des Friedensgedankens gewesen sei, eines unteilbaren Friedens, der ein Gebot der Weltstunde sei, in der machtpolitische Antagonismen keine Rolle spielen dürften. Er sei weder Kommunist noch Antikommunist. Seine Bitte wurde veranlaßt durch eine an ihn gerichtete gemeinsame Eingabe in Westdeutschland lebender Angehöriger der Opfer von Prozessen, die im April und Mai 1951 in Waldheim, Sachsen, durchgeführt wurden und in denen diese zu hohen Zuchthausstrafen wegen Kollaboration mit dem nationalsozialistischen Herrschaftssystem verurteilt worden seien. Er fragt sich, ob es einen Sinn habe, diese Durchschnittsmenschen im Stil des Nazismus und von »Volksgerichten« aburteilen zu lassen. Nennt dann eine Anzahl Fälle, in denen die Verurteilung aus übergroßer Härte erfolgt sei, und bittet U., sich den Ernst der politischen Lage, die Spannung zwischen zwei Machtkomplexen, vor Augen zu führen und dazu beizutragen, diese Spannung abzubauen und die vergiftete Atmosphäre durch eine Geste der Milde und Menschlichkeit zu verbessern. Ein großzügiger und summarischer Gnadenakt wäre eine solche Geste, »eine Friedenstat«.
