Thomas Mann an [?] Rosenheim
- Zeitraum
- Mittwoch, 24. Juni 1953
- Datierung
- 24.6.1953
- Empfänger:in
- Ort
Zusammenfassung
Das ihm von R. übersandte »Poem« [nicht ermittelt] hat ihm wenig Freude gemacht. Die darin enthaltene Zeitkritik sei nicht mit besonderer Kunst ausgesprochen worden. In einem guten Aufsatz von Anni Carlsson habe er gerade gelesen, der Schlussstrich, den die heutigen Lyriker unter die Verskunst eines Jahrtausends ziehen, in dem Glauben, dass ein Poet jetzt »die veraltete Zwangsjacke des Reimes abgeworfen habe«, um in reimlosen Rhythmen unerforschte Wege zu beschreiben, laufe auf ein Armutszeugnis hinaus. Carlsson habe ihm aus der Seele gesprochen mit ihren Worten: »Denn mit Vers, Reim, Strophe, ihrer Melodik und ihren subtilen Bewegungsgesetzen erhält das Gedicht nun einmal eine Dimension mehr, ein Plus an geprägter Form, an Klang, an Kunst. Keine Umwertung vonseiten derer, die diese Kunst nicht mehr beherrschen, kann an der Tatsache etwas ändern.« Das sei ihm aus dem Herzen gesprochen.
