Thomas Mann an Hermann Stresau
- Zeitraum
- Sonntag, 3. Oktober 1954
- Datierung
- 3.10.1954
- Empfänger:in
- Ort
Zusammenfassung
Über die Entstehungsgeschichte der 'Felix Krull‹-Memoiren: Hatte im Jahr 1911 das Fragment einschließlich des Militär-Untersuchungs-Kapitels fertig. Unterbrach die Arbeit, weil ihm »der parodistisch-überspitzte Ton des Stils [...] für ein umfangreiches Buch undurchführbar schien«. Ging zum ›Tod in Venedig‹ über, woran sich das Davoser Erlebnis ›Der Zauberberg‹ anschloß, der nach Unterbrechung durch die ›Betrachtungen‹ erst ein paar Jahre nach 1918 fortgesetzt wurde. Der Joseph-Roman »erschwerte mir den Gedanken, jemals den Krull fortzuführen, weil mir die Figur des Krull durch den Joseph überholt und übertroffen schien«. Er habe aber den »modernen Schelmenroman« nie ganz aus den Augen verloren und führte das Material durch alle Stationen seines Lebens mit sich. Beabsichtigte, nach der Vollendung des Joseph-Romans die Arbeit an den Krull-Memoiren wieder aufzunehmen. »Das war aber zur Zeit einer historischen Krise, dem herannahenden Untergang der Naziherrschaft, und erfüllt von den moralischen, künstlerischen und politischen Ideen des ›Faustus‹ fühlte ich mich verpflichtet, mich vorerst an diesen mir selbst und der Welt auf den Nägeln brennenden Gegenstand zu halten, und stellte den Krull wiederum zurück.« Erst nach dem ›Erwählten‹ und der ›Betrogenen‹ habe er über 40 Jahre hinweg an den Ich-Roman wieder angeknüpft und auf demselben Papier zu schreiben fortgefahren, das noch aus München stammte und nur ein Wort auf seiner obersten Linie trug. Er habe in dem Tonfall des alten Fragments wieder angesetzt, doch allmählich dann den alten parodistischen Stil verlassen und »meinem Helden eine zwar immer humoristisch gewählte, aber doch kurrentere Schreibweise zugestanden«. Ist im Augenblick von der Vorbereitung eines Schiller-Vortrages absorbiert. Kann sich daher mit Dr. Eggebrechts Vorhaben, einer Ehrung des Emigrantentums, nicht befassen. Man sollte dafür einen Nichtemigranten gewinnen.
