Thomas Mann an Kuno Fiedler
- Zeitraum
- Montag, 22. November 1954
- Datierung
- 22.11.1954
- Empfänger:in
- Ort
Zusammenfassung
Bedauert, dass F. durch sein Schweigen beunruhigt sei. Aber er sei unsinnig überhäuft und leide an einer ekzematösen Gesichtsgeschwulst. F.’s Brief empfinde er nicht als Ausbruch, sondern als ein interessantes, humorvolles Dokument mit richtigen Bemerkungen über die Homosexualität, die ja ganz hübsch verbreitet sei und kaum mehr Anstoß errege. Er nehme es nicht übel, wenn man ihn ihrer zeihe. Im ›Krull‹ sei er ziemlich aus sich herausgegangen. F. habe nicht so unrecht, die Mme Houpflé-Szene »unverschämt« zu nennen. Er habe anscheinend nicht bemerkt, dass Lord Kilmarnock physiognomisch ein dreistes Selbstportrait sei. Verweist auf seine Äußerungen über den Knaben Tadzio [s.Br. an F. v. 11.11.1954]. – Im Gegensatz zu F. sei er mit der heutigen Redefreiheit nicht zufrieden. Er leide oft wie ein Hund darunter, dass man die Wahrheit nicht mehr sagen könne. Die Amerikahörigkeit der sogenannten freien Welt erlaube es nicht. Er träume oft von einem lapidaren Manifest, das, von vier, fünf Welt-Namen unterschrieben, die Wahrheit hinausschreien müßte, dass es auf diesem Wege dem Ende der Zivilisation unweigerlich entgegengehe.
