Thomas Mann an Alexander Skuhra
- Zeitraum
- Montag, 14. April 1924
- Datierung
- 14.4.1924
- Empfänger:in
- Ort
Zusammenfassung
Hat sich während seiner Krankheit sehr eingehend mit dem Plan der vorgesehenen Goethe-Ausgabe beschäftigt [s. Brief an Alexander Skuhra vom 29.3.1924 / Reg. 24/33a]. Dabei ist er zu Ergebnissen gekommen, die eine wesentliche Reform der Verständigungskonferenz mit Kurt Martens bedeutet. Äußert sich sehr ausführlich zu seinem Plan für die geplante Goethe-Ausgabe, den er mit Martens, der verreist ist, nicht abstimmen konnte. Schlägt eine Verteilung des Stoffes auf drei Stufen vor, wozu er schreibt: Er sei geneigt, dies Kriterium nicht so sehr im Erotischen zu sehen, d. h. in der Spannweite zwischen dem Reinen, im bürgerlich-pädagogischen Sinn Einwandfreien und dem Geschlechtlich-Ungebundenen und Leidenschaftlichen; sein Weg der Steigerung führt vom Volkstümlichen, Vorklassischen, Derben, Jugendlichen, Einfältigen hinauf zur Form. Dieses Prinzip habe ihn in einen gewissen Gegensatz zu Martens gebracht, der das Erotische, das Liebeslied also, zwar nicht ganz, aber doch ziemlich weitgehend ausgeschaltet hatte. M.s Verzicht auf ›Wanderlied‹ oder ›Epiphanias‹ sei nicht zu verteidigen. In die erste Stufe gehöre das Gedicht ›Nachtgesang‹, das durchaus etwas für junge Leser sei. Ebenso ›Nähe des Geliebten‹, ›An Belinden‹, ›Rastlose Liebe‹. Ist überzeugt davon, dass man das Vertrauen der Jugend nicht gewinnen kann, wenn man dergleichen aus pädagogischen Gründen auslasse. Besonders besteht er auf dem Gedicht ›Der ungetreue Knabe‹, das er als wunderbar volksliedhaft-jugendlich und schön gerade für die erste Stufe bezeichnet. ›Die Geschwister‹, ›Stella‹ und ›Clavigo‹ möchte er der zweiten Stufe vorbehalten und die ›Novelle‹ der dritten. Ganz entschieden plädierte er aber dafür, dass der erste Teil des ›Faust‹ im Anschluss an die Gedichte in die erste Stufe gehöre. In eine Goethe-Auswahl für Jugendliche gehöre der ›Faust I‹, das Fehlen darin würde von der Jugend als Duckmäuserei angesehen und dazu könne er seinen Namen nicht hergeben. Bei der Auswahl habe er die Cottasche Jubiläumsausgabe in 40 Bänden zugrunde gelegt, die entsprechenden Seiten- und Bandzahlen beziehen sich auf diese Ausgabe. Ursprünglich hätten Martens und er die Auswahl aufgrund der Tempelausgabe treffen wollen, sie sei aber wissenschaftlich zu wenig ergiebig.
