Thomas Mann an Paul Tillich
- Zeitraum
- Donnerstag, 13. April 1944
- Datierung
- 13.4.1944
- Empfänger:in
- Ort
Zusammenfassung
Bedankt sich für »ein sehr schönes, lehrreiches Geschenk«, T.s Aufsatz ›Existential Philosophy‹. Die Studie habe ihn nicht zuletzt deshalb sehr bewegt, weil er sie im Geiste des Untertitels ›Beitrag zur tragischen Geschichte des deutschen Geistes‹ gelesen habe. Unter der Devise ›Existential Philosophy‹ habe sich eine etwas bunte Gesellschaft zusammengefunden. Fragt, ob nicht »so tüchtige Irrationalisten wie Klages und Th. Lessing« dazugehören, und bezweifelt, dass dies für Marx der Fall sei. Er habe den »Nazi par existence« Heidegger nie leiden können und ist entsetzt über die Probe aus seinem philosophischen Schreckensjargon.
»[...] Jemeinigkeit! Sollte so etwas nicht strafbar sein?« Schopenhauer würde diesem »High-brow-Sudler und kriminellen Sprachschänder die Meinung gesagt« haben. Findet, dass man den Irrationalismus des ersten Drittels des 20. Jahrhunderts als Reaktion betrachten solle, die manchen Fortschritt gebracht habe. »Dann hat er sich, vor Innerlichkeit rasend, als Fascismus in den Abgrund gestürzt.« Man müsse die »zeitweise so lächerlich gewordene Fahne der Vernunft und des Fortschritts von Neuem weitertragen«. – Befürchtet, dass die deutsche Neigung zu Selbstbemitleidung, »die wir mit Brutalität bequem zu vereinigen wissen«, mit Worten wie »tragisch« und »dämonisch« verschönt wird, und dass sein entstehender Roman einen solchen Begriff des »Deutschtums« beständig suggeriere. Der grassierende Emigranten-Patriotismus, »der findet, daß Deutschland, nachdem anderen das Unglaublichste geschehen, nichts geschehen darf«, sei ein sehr verfrühtes Mitleid, das mit der härtesten Anmaßung propagiert werde, »die je im Völkerleben vorgekommen«.
