Thomas Mann an Otto Grautoff
- Zeitraum
- Freitag, 10. Juli 1896
- Empfänger:in
- Ort
Zusammenfassung
Gibt an, G.s Ausführung seiner „Krankheit“ gelesen zu haben. „Ich selbst habe in dieser verfänglichen Richtung viel, sehr viel erlebt“, und „erziehe mich dazu, den Unterschied zwischen ‚glücklichen‘ und ‚unglücklichen‘ Erlebnissen zu verlernen“. Will selbst jedoch keine schriftliche Auseinandersetzung schicken, sondern hofft auf ein Wiedersehen und mündliches Gespräch mit G. Hat G.s Bericht vernichtet. Zweifelt an G.s Einschätzung, er (TM) sei „‚sexuell gesund‘“, und verweist auf die „Lektüre von Krafft-Ebing und Moll“. „Aber einerlei: ich muß zugeben, dass Dein Fall anders geartet und sehr viel qualvoller ist, als der meine […]. Ich bin immerhin noch im Stande, meine ‚Anomalien‘ mit – so blödsinnig wie es klingt, möchte ich sagen: – literarischen Augen anzusehen, Philosophie hineinzubringen […].“ Tröstet jedoch G. („Jeder ist auf seine eigene Art gesund; sei Du ’ s auf die Deine!“) und rät ihm, sich nicht „mit diesen albernen ‚Urningen‘“ [von Karl Heinrich Ulrichs geprägter Begriff für Homosexuelle] zu vergleichen und sich stattdessen ärztlich betreuen zu lassen. Kündigt an, mit Bruder Heinrich Urlaub zu machen und voraussichtlich in den nächsten beiden Jahren nicht nach Berlin zu kommen. Bittet G. um seine Einschätzung eines beigelegten Gedichts [nicht erhalten].
