Thomas Mann an Ida Boy-Ed
- Zeitraum
- Dienstag, 5. Dezember 1922
- Datierung
- 5.12.1922
- Empfänger:in
- Ort
Zusammenfassung
Rechtfertigt seine politische Haltung, die er in der Rede ›Von deutscher Republik‹ zum Ausdruck gebracht hatte, gegen ihre Vorwürfe des »Abfalls, Selbstverrats, Charakterbruchs, Verleugnung eigener Thaten«. Sie übersehe, dass er die Republik von 1914, nicht von 1918 datiert habe: »Damals, in der Stunde der Ehre und des todtbereiten Aufbruchs habe sie sich in der Brust der Jugend hergestellt.« Damit habe er die Republik definiert, nämlich als das Gegenteil dessen, was sie heute sei: »der Versuch, diesem kummervollen Staat, der keine Bürger hat, etwas wie Idee, Seele, Lebensgeist einzuflößen, schien mir kein schlechtes Unternehmen, erschien mir als etwas wie eine gute That«. In den ›Betrachtungen‹ habe er sich im Namen der Humanität der Revolution entgegengeworfen, heute werfe er sich aus demselben Triebe der reaktionären Welle entgegen. Er halte sich an die großen Meister Deutschlands, Goethe und Nietzsche, »die es verstanden, anti-liberal zu sein, ohne [...] der menschlichen Vernunft und Würde etwas zu vergeben«. Er habe sich von Nietzsche nicht abgewandt, wenn er auch »seinen klugen Affen, Herrn Spengler, billig gebe«. Seine zweimalige Oppositionsstellung solle eher auf eine gewisse »Instinkt-Unbeirrbarkeit und Unabhängigkeit des Gewissens schließen lassen, als auf Nachgiebigkeit gegen ›Einflüsse‹ und ›Verbindungen‹«.
