Thomas Mann an Otto Grautoff

Zeitraum
Dienstag, 5. März 1895
Datierung
5.3.1895
Empfänger:in
Ort

Zusammenfassung

Freut sich über G.s langen Brief. Es sei ihm zwar nicht neu, was G. über den Geist schreibe, aus dem die Novelle ›Ralf Reuter‹ entstanden sei, aber was die Liebe angehe, so habe G. es nicht nötig, »den Unterleib so ganz und gar zu verachten«. Es liege doch im Unterleib »eine ganze Menge Poesie, man muß ihn nur hübsch mit Gemüt und Stimmung umwickeln«. Er habe sich in letzter Zeit nahezu zum Asketen entwickelt. »Ich schwärme, in meinen schönen Stunden, für reine ästhetische Sinnlichkeit, für die Sinnlichkeit des Geistes, für den Geist, die Seele, das Gemüt überhaupt.« Aber daraus solle man keine Philosophie machen. Denkt noch gern an ihre gemeinsame Schulfreundschaft zurück; »wirklich befreundet« sei er trotz seiner vielen Bekannten nur mit ihm gewesen. »Zufällig vielleicht. Aber es ist auch Wahlverwandtschaft im Spiele.« – Wird in München durch viele Abwechslungen mit Theater, Konzerten, Cafés vom Schreibtisch ferngehalten. Nimmt an den Proben des ›Akademisch-dramatischen Vereins‹ zur Aufführung von Ibsens ›Wildente‹ teil, in der er den Großhändler Werle spielen soll. Will demnächst nach Lausanne übersiedeln, um diesen Zerstreuungen in München zu entgehen. – Kommt auf die dem Reichstag vorgelegte Umsturzvorlage zu sprechen und bekennt bei dieser Gelegenheit, dass Politik ihm völlig gleichgültig sei. »Meine Muse ist keine reisige Maid, die zürnend dreinschlägt, sondern ein liebliches Mägdlein, das Kränze windet und leise singt.« – Hat seit November 1894, als er den ›Kleinen Professor‹ vollendet hatte, nichts mehr geschrieben; »nur allerlei Lyrik fertig gebracht. Zu Gedichten gehört ja kein Fleiß und keine Ausdauer. Ich mache sie gewöhnlich abends beim Einschlafen«.

Erwähnungen

Hinweis: der Eintrag befindet sich in Prüfung. Haben Sie Korrekturen oder Ergänzungsvorschläge?