Thomas Mann an Gerhard Eschenhagen
- Zeitraum
- Mittwoch, 18. November 1931
- Datierung
- 18.11.1931
- Empfänger:in
- Ort
Zusammenfassung
Hat sich mit E.s Bekenntnis trotz innerer Widerstände eingehend beschäftigt und ein gewisses Verständnis für E.s Ergüsse über den Nationalsozialismus, da eine »persönliche Herzensreinheit« daraus spricht. Seine Liebe zum Menschen und seiner Zukunft stehe hoch über dem Defaitismus eines Spengler, dem er zuviel Gerechtigkeit widerfahren lasse. Er frage sich vergebens, woher das Dritte Reich Persönlichkeiten nehmen wolle, »die sich als Spitzenpersönlichkeiten der Nation auszeichneten«. Sie würden außer Landes sein, das Reich werde sich »mit jüdischen Renegaten und Mimikry-Virtuosen« begnügen müssen. Dies wäre zu jeder Zeit so gewesen. Wer von früheren Geistesgrößen könnte denn heute überhaupt bestehen? Hebbels Moralkasuistik könne talmudisch angesprochen werden; Schiller sei französisches Grand Siècle; Goethe habe den Deutschen so viel Antipathie erwiesen wie nach ihm Nietzsche. Die Großen seien Weltgeister gewesen. – Zum Begriff: Nationalsozialismus: Nationalsozialismus und Sozialismus seien Weltgegensätze, die Entscheidung liege zwischen ihnen. Er wurzle in der bürgerlichen Kultur und sei viel eher zum Repräsentanten der Überlieferung als zum Revolutionär geschaffen. Aber sein Lebensinstinkt lasse ihn heute Sozialist sein, vom Nationalismus wende er sich ab, so wie ihn das Dritte Reich verstehe. Seine Bücher könnten nirgendwo anders als in Deutschland geschrieben sein, sie seien keineswegs »international«, auch wenn »von ihnen internationale Sympathien für Deutschland« erworben wurden. »Das Nationale ist ein Sein und unschuldiges Tun, kein Meinen und Maulaufreißen.« Es sollte »bewußtlos bildendes Leben bleiben: wo es bewußt wird, prinzipiell, lehrhaft, da ist es schon in der Entartung begriffen«.
