Thomas Mann an Otto Grautoff
- Zeitraum
- Freitag, 31. Mai 1895
- Datierung
- ohne Datum [Ende Mai]
- Empfänger:in
- Ort
Zusammenfassung
Es hat ihn gerührt, dass G. sich ›Walter Weiler‹ laut vorgelesen hat. Merkt an dessen Brief, dass er stark unter dem Einfluss der Novelle steht: »Du liest eine Dichtung, die Eindruck auf Dich macht, und wenn Du Dich dann hinsetzt zu schreiben, so fühlst und schreibst Du unwillkürlich in ihrem Stil. Das nennt man Dilletantismus; oder es gehört wenigstens dazu.« – Ist neugierig auf G.’s Gedicht ›Verklungen‹. Will eine Novelle über »zweierlei Liebe« schreiben und darin »einen Teil meiner hiesigen gesellschaftlichen Sensationen verwenden«. – Meditiert über die Erbanlagen der drei Söhne seines Vaters, des »Geschäftsmannes, praktisch, aber mit Neigung zur Kunst und außergeschäftlichen Interessen«. Sein ältester Sohn sei Dichter, aber auch »Schriftsteller«, »mit starker intellectueller Begabung«; der zweite, also er, »der nur Künstler ist, nur Stimmungsmensch, intellectuell schwach, ein sozialer Nichtsnutz«. Danach müsste der Jüngste der »vagsten Kunst«, der Musik angehören. »Das nennt man Degeneration. Aber ich finde es verteufelt nett.«
