Thomas Mann an René Schickele
- Zeitraum
- Samstag, 27. November 1937
- Datierung
- 27.11.1937
- Empfänger:in
- Ort
Zusammenfassung
Dankt Sch. besonders für die freundlichen Worte über das Riemer-Kapitel [aus ›Lotte in Weimar‹]. Ist selbst auf dieses Kapitel stolz, zumal es unter den schlimmsten Ischias-Schmerzen mit noch halb schlaflos verbrachten Nächten geschrieben wurde. – Sah gestern ›Die Piccolomini‹ im Theater und hat den Schiller-Kant-Gedanken der »Freiheit« benutzt, um ihn in das Gespräch mit dem mürrisch unterwürfigen Riemer einfließen zu lassen. – Sch. habe in seiner Kritik den Finger auf einen wunden Punkt gelegt: den Gedankengang über Goethes Prosa habe er seinem Essay ›Goethe als Repräsentant des bürgerlichen Zeitalters‹ entnommen, und es sei ihm schwergefallen, diese essayistische Form in einen lebendigen Dialog zu übersetzen. – Nach der Niederschrift dieses Kapitels habe er sich wieder in die politische Sphäre begeben und den Vortrag ausarbeiten müssen, den sie drüben über den »zukünftigen Sieg der Demokratie« haben wollen. Er habe loyal die Grundsätze und Begriffe des demokratischen Idealismus dargestellt, und was sei dabei herausgekommen? Eine Art politische Sonntagsschul-Predigt, an die er nur zum großen Teil selbst glaube. »Unter uns, es ist eine Rolle, mit der ich mich ebenso identifiziere wie ein guter Schauspieler sich mit seiner identifiziert. Und warum spiele ich sie? Aus Haß gegen den Faschismus und Hitler.« Dankt Sch. für seinen Entschluss, der Zeitschrift [›Mass und Wert‹] durch seine Mitarbeit zu helfen. Es sei schwierig, aber sie müssen sie wenigstens ein paar Jahre hindurchbringen, nachdem sie damit begonnen hatten. Ob Ferdinand Lion so lange durchhält, sei fraglich. Nr. 2 habe hohes Niveau. Nr. 3 werde noch besser sein. – Seine Frau werde ihm ›Le Retour‹ zurückschicken. Die Langweiligkeit der Franzosen bringe einen manchmal zur Verzweiflung. Gallimard habe endlose Zeit gebraucht, um die beigelegte Broschüre [›Avertissement à l’Europe] herauszubringen.
