Thomas Mann an Agnes E. Meyer
- Zeitraum
- Dienstag, 16. Juni 1942
- Datierung
- 16.6.1942
- Empfänger:in
- Ort
Zusammenfassung
Ist froh, dass M. sich nach den Erschütterungen der jüngsten Zeit [Totgeburt ihres Enkelkindes] in Mount Kisco erholen kann. – Erzählt von seiner Frau, um die er sich wegen der Last der Hauswirtschaft Sorgen macht; der Besuch des kleinen Fridolin sei zwar eine Freude und ein »herzliches Amüsement«, aber für die Grandma ein Stück Arbeit mehr. – Ist selbst mit Arbeit überlastet: die Redaktion von ›Order of the Day‹ mache viel Mühe, musste einen zwei Stunden langen Brief an H. Lowe-Porter über Details der englischen Fassung von der Rede ›Von deutscher Republik‹ diktieren. Ständig würden ihm Bücher, Manuskripte, Dissertationen übersandt, die alle wenigstens eine Höflichkeitsantwort verlangten, ganz abgesehen von den lästigen Besuchern. – Der vierte Joseph-Band, der eine Zeitlang stürmische Fortschritte gemacht habe, »stockt augenblicklich gelangweilt«. – Eugene Meyer hat er Spykmans Buch ›America’s Strategy in World Politics‹ schicken lassen, mag aber dessen »kaltschnäuzigen Desillusionismus, dieses Bestehen auf den eisernen Gesetzen der Machtpolitik« nicht. Es sei Karl Haushofer »andersherum«. – Die Amerikaner sind von Haushofers »Wissenschaftlichkeit« sehr eingenommen; Professor Renner von der Columbia University hat in Collier’s Magazine ›Maps of a New World‹ veröffentlicht, die »schlechthin ein Skandal und ungeschminkter Hochverrat« seien. Er sei so empört über diese »tückische Axis-Begünstigung« gewesen, dass er einen Brief an Präsident Butler geschrieben habe. Empört sich über die Infamie der Nazis, die, nachdem die USA mit ihnen im Krieg seien, drohen, falls die Attentäter Heydrichs nicht ausgeliefert würden, müsste die tschechische Nation »die Consequenzen zu tragen haben«. Sie brauchten jetzt ja keine Rücksichten mehr nehmen. »Ach, die civilisierten Völker werden nie hoch genug bezahlen dafür, daß sie *das* haben groß werden lassen.« – Hat neulich der *Tass-Agency* geschrieben: »Ich bin ein alter Mann, aber nichts wünsche ich heißer und bitte um nichts inständiger die Natur, als daß ich den Tag noch erleben möge, an dem überall in der Welt die Glocken läuten, die Gläser klingen und die Menschen einander umarmen mit dem Jubelruf: Das Ungeheuer liegt, die Welt ist frei, ein neues Leben und ein neues Glück können beginnen!« [s. Brief an Tass Agency vom 15.6.1942 / Reg. 42/210 und an Agnes E. Meyer vom 5.7.1942 / Reg. 42/243].
