Thomas Mann an Adolf Augustus Berle
- Zeitraum
- Donnerstag, 18. November 1943
- Datierung
- 18.11.1943
- Empfänger:in
- Ort
Zusammenfassung
Unterbreitet B. ein Problem, dessen Lösung weitgehend von dessen Rat abhängt. Unter den verschiedenen politischen Gruppen der deutschen Emigranten besteht eine allgemeine Tendenz, ein Komitee ›Freies Deutschland‹ zu gründen. Dieses Komitee könnte zweierlei Aufgaben erfüllen: es könnte zur Unterstützung der politischen Kriegsführung die Menschen in Deutschland beeinflussen, und es könnte sich, wegen seiner Kenntnis der deutschen Mentalität, beratend amerikanischen Behörden als nützlich erweisen. Es sollte, soweit wie möglich, aus allen politischen Gruppen von rechts bis links bestehen. Von verschiedenen Personen sei er vorgeschlagen worden, die Zusammenarbeit der verschiedenen Gruppen zustande zu bringen. Als unabhängigen deutschgeborenen Schriftsteller halte man ihn für die geeignete Person. Er sei aber weder ein Mann der Tat noch der Diplomatie und würde es vorziehen, seine private Arbeit ungestört fortzusetzen. Trotzdem würde er aus einem gewissen Verantwortungsgefühl und unter bestimmten Bedingungen nicht vor dieser Aufgabe zurückscheuen. Die wesentliche Bedingung sei, dass die Bildung eines Komitees dieser Art mit der Billigung der amerikanischen Behörden in Washington geschehe. Daher bitte er B. um Mitteilung, ob die Bildung eines solchen Komitees wünschenswert sei, und falls ja, ob es der richtige Zeitpunkt sei, es zu tun. – Er möchte diese Gelegenheit benutzen, um folgenden Gedanken zum Ausdruck zu bringen. In der Presse und sonstwo gingen Gerüchte um, nach denen Namen solcher Persönlichkeiten genannt würden, die in dem zukünftigen demokratischen Deutschland eine führende Rolle spielen sollten. Er halte diese »Nominierungen« für voreilig und nutzlos. Nach seiner Meinung wird es am Anfang keine ›Regierung‹ geben. Was aber gebraucht würde, sei eine Anzahl tüchtiger Verwaltungsmänner, die man aus Deutschland oder auch aus Emigrantenkreisen nehmen könnte. Sie würden als Exekutivorgane mit den Besatzungsbehörden zusammenarbeiten. Hierzu eigneten sich nicht solche Persönlichkeiten, die in dem reorganisierten Deutschland eine führende Rolle spielen. Sie würden zu früh verbraucht und sollten für die Zukunft aufgehoben werden. – Er würde es begrüßen, wenn er B.’s Ansichten noch während seines New Yorker Aufenthalts bis zum 27. November erfahren könnte. [A. A. Berle schlug im Antwortschreiben vom 20.11.1943 eine mündliche Besprechung der Fragen in Washington am 24. bzw. 25. November vor.]
