Thomas Mann an Fritz Kaufmann
- Zeitraum
- Sonntag, 27. August 1944
- Datierung
- 27.8.1944
- Empfänger:in
- Ort
Zusammenfassung
Dankt für K.s Nietzsche-Essay, in dem dieser Verbindungslinien zu ihm zieht. Seitdem er dem deutschen Geist etwas mehr ›Pragmatismus‹ wünsche, das heißt, mehr verantwortungsbewusste Rücksichtnahme auf Leben und Wirklichkeit, verhalte er sich auch zu Nietzsche »kritischer – und erbarmungsvoller«. »Der Fall bleibt als mythisches Schauspiel, als Lebens-Gedicht und -Tragödie tief verehrungswürdig.« K. sei aufgefallen, dass er einem Nietzsche-Essay immer ausgewichen sei; will auch in diesem Brief nicht in dies Thema hineinrennen. Sein gegenwärtiger Roman, »der auch etwas wie ein Roman des deutschen Unglücks sein will«, beschäftige sich stark mit diesem Thema. K. habe mit »bemerkenswertem Gefühls-Scharfsinn« erkannt, dass das eigentlich letzte und tiefste Thema der »Joseph-Polyphonie« das von der »absprechenden Liebe« sei. Den Amerikanern lasse er gern die Bezeichnung als »success story«. Das sei das Lebensgeheimnis, dass nicht Joseph »berufen und zugelassen« wird, sondern der tief beschämte Juda, der »Gott gnade mir, aber ich bin’s!« ausruft.
